Stuhl über Stuhl türmt sich auf der Bühne des Theaters „Scala“. Es ist das Bühnenbild zu Rüdiger Hentzschels Inszenierung von Anton Tschechows „Onkel Wanja“. Allegorischer könnte die Kulisse kaum gewählt sein: In Tschechows – seit seiner Uraufführung 1899 mit Unterbrechungen auch im deutschsprachigen Raum rauf und runter gespielten – Stück sitzen die Figuren fest. Erstarrt in einem Leben, das an Abwechslung wenig zu bieten hat. Die Monotonie und Lethargie eines von der alltäglichen Arbeit bestimmten Daseins bekommen die Zuseher jedoch nicht zu sehen. Tschechows Stück setzt da ein, wo das unreflektierte tagtägliche Schaffen bereits gehörig durcheinander gewirbelt wurde. Der Grund für die Aufregung: Onkel Wanja (wunderbar gespielt von Dirk Warme) hat eine niederschmetternde Entdeckung gemacht. Dem Verwalter eines Gutbesitzes ist klar geworden, dass der Mann seiner verstorbenen Schwester – ein emeritierter Professor (Rainer Friedrichsen), welcher aktuell zu Besuch auf dem Landgut weilt – „fünfundzwanzig Jahre lang auf einem fremden Platz gesessen“ ist. Während Wanja geschuftet und das erwirtschaftete Geld dem Professor für seine Lebenszwecke zukommen hat lassen, ist er selbst durch den immer gleichen Trott der Arbeit verblödet. Das eigene Leben erscheint ihm vertan – geopfert einem Blender, dessen wissenschaftliche Karriere im Sand verlaufen und dessen Werk bereits vergessen scheint. Zu allem Ärgernis befindet sich der von Wanja einst bewunderte und nun verachtete Mann in Begleitung einer jungen Frau. Jeléna (Selina Ströbele), ursprünglich Musikerin, hat das Musizieren aufgegeben und erwartet vom Leben nur mehr wenig. Von der Liebe desillusioniert fügt sie sich den Launen ihres kränkelnden, launenhaften und despotischen Mannes. Die junge, an Reizen reiche Frau wird bald das Ziel der Umwerbung von Wanja und dem befreundeten Arzt Ástrow (Rainer Doppler). Ástrow seinerseits wird von der Tochter des Professors, Sonja, verehrt. Schauspielerin Sonja Kreibich spielt die bescheidene Frau derart natürlich, dass es eine wahre Freude ist. Aber auch Margot Ganser-Skofic glänzt schon durch ihre bloße Anwesenheit als Kinderfrau Marína. Mit der Ruhe des Alters stickt sie sich durch den Abend.
Der ganz normale Irrsinn
Ein Abend, der anders als in Stanislawskis Musterinszenierung, in der das Stück berühmt wurde, von Rüdiger Hentzschel trotz aller Lethargie der Figuren temporeicher inszeniert ist. Im Zentrum steht der Witz oder vielmehr das unfreiwillig Komische, das die Verzweiflung manchmal gebiert. Wer das Phänomen kennt, wenn Lachen und Weinen aufeinandertreffen, weiß wovon die Rede ist. Die Nerven, sie liegen blank. Am Ende muss Onkel Wanja sich zusammenreißen, will er weiter leben. Es ist nicht zu viel verraten – befreien aus ihrem sie unglücklich machenden Trott können sich auch die Figuren von Tschechow nicht. Dass sie dabei manchmal höchst aktuell wirken, ist es, was dem Stück auch noch heutzutage seine Brisanz verleiht.
„Auch heute ist die bürgerliche Gesellschaft immer mehr damit beschäftigt Lebensstandards irgendwie aufrecht zu erhalten. Die harmlose, stagnierende Spaßgesellschaft ist allgegenwärtig: Facebook, Twitter – Social Media sind Handlungsschauplätze eines nur vermeintlich selbst bestimmten und individualisierten Lebens“, stellt Hentzschel einen Bezug zum heutigen Leben her. Inwieweit die Unfähigkeit zur Selbstveränderung und das Leben des eigenen Lebens durch die Leben der Anderen, sich von damals – vor 120 Jahren als das Stück entstand – unterscheidet, mag Stoff abendfüllender Diskussionen sein. Das auch im Stück angesprochene Credo, den Worten Taten folgen zu lassen, ist jedenfalls vermutlich so alt wie die zur Sprache fähige Menschheit selbst. Die Geschichte wiederholt sich – auf die rondoartige Struktur von „Onkel Wanja“ wurde bereits mehrfach hingewiesen. Die Stühle, die die Bühne säumen bieten nicht nur eine Sitzfläche, sie erinnern nicht zuletzt auch an die Gitterstangen eines Käfigs. Sich kurzzeitig aus der Lethargie zu erheben ist eine Sache, aus dem Gefängnis auszubrechen eine weitere.
Onkel Wanja
von Anton Tschechow
Weitere Termine: 21.02.-25.02., 28.02.-04.03., 07.03.-11.03. jeweils um 19:45
Theater SCALA – TZF-Headquarter
Wiedner Hauptstraße 106-108
1050 Wien
Tel. +43-1-544 20 70
www.theaterzumfuerchten.at
© Fotos: Bettina Frenzel
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